Winter

Liebes ICH, bitte erkläre mir das Grundmuster der Menschheit!

Es ist das Sich-allein-gelassen-Fühlen, das der innerliche Steuermann der Menschen ist. Sie fürchten sich vor der Einsamkeit, und stürzen sich in Beziehungen, Verpflichtungen, Liebschaften – nur um sich als Teil von etwas fühlen zu können. Denn sie sehen sich immer ausgegrenzt, ausgeschlossen vom Ganzen. Doch diese Bünde, die sie eingehen, behindern sie und bringen zumeist nicht die erhoffte Befriedigung. Sie erlischt so schnell sie entflammt ist! Sie sind von kurzer Dauer weil es ihnen an Substanz fehlt. Die Substanz ist die eigene Bereitschaft, man selbst zu sein und dieses Man-selbst-Sein nichts und niemandem zum Opfer zu bringen. Die Menschen tun genau das. Sie geben sich selbst auf, verleugnen sich, entwürdigen sich, nur um Teil von etwas zu sein. Dabei vergessen sie – ja, sie sehen es nicht einmal – dass sie Teil des Ganzen sind, ob sie es nun sehen oder nicht. Du bist du und es ändert nichts daran, ob du dich als dich erkennst und annimmst oder dich verleugnest! Wenn du dich verleugnest, trübt das lediglich deinen Blick für die Wahrheit, die du ohnehin bist, aber es ändert nichts daran! Und doch sind die Zweifel sinnlos, weil du nur durch den Glauben das Sein erkennst!

Ein Baum ist ein Baum, auch wenn er keine Äste hat, weil der Sturm sie ihm genommen hat. Ein Baum ist ein Baum, auch wenn seine Blätter fallen, weil der Winter sie ihm abverlangt. Ein Baum ist ein Baum, auch wenn er Früchte trägt. Deshalb ist er noch lange keine Obstplantage! Ein Baum ist ein Baum, und wenn er glauben mag, ein Busch zu sein! Ein Baum ist immer nur ein Baum und die vielen Facetten an ihm bezeugen seine Großartigkeit!

Glaubst du, ein Baum trauert im Winter um seine Blätter, gibt auf und jammert, weil er sich nichtig fühlt? Nein, er denkt nicht daran, da er weiß, dass seine Knospen wieder sprießen werden, wenn der Frühling seine Zweige umspielt. Er fühlt sich nicht besser in voller Blüte und nicht schlechter in blanker Kahlheit. Es ist die Erneuerung, die mit dem Fall der Blätter beginnt, und mit den Blüten endet. Im Tod beginnt das Lebend! Denn so wie das Leben den Tod in sich trägt, so gebiert der Tod das Leben!

Die Menschen träumen den Traum vom ewigen Leben, weil sie nicht sehen, dass sie es bereits in sich tragen! Sie wollen nur die Blüten und die Früchte, die reiche Ernte, doch den Winter und seine Kahlheit, die wollen sie nicht. Die Kahlheit macht ihnen Angst, weil es ihnen an Substanz fehlt. Die Blüten und Früchte müssen weichen, damit der Baum sich erneuern kann. In der Erneuerung liegt das Leben, ebenso wie im Zerfall!